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Ich hätte nie gedacht, daß ich C. C. Cohns Untermieter werden würde. Aber man muß in seiner Untermieterkarriere eben aufs Ganze gehen. Erstens schläft er bis drei und nimmt den Tee um vier.
ISOLATION
ISOLATION
hallte es aus den hinteren Hallen. Er aß tagelang nichts, aber wenn ich aus der Küche die Reste zusammenklaubte & mir ein paar Brote machte & er sie auf dem Tisch stehen sah, schrie er: "Ich hab Hunger &: Wasn das fürn Film?"
"TATORT."
Cohn verschlingerte Irrsinnsmengen von Coca Cola. Es ging so: "Gehst du noch weg?"
"Mja".
"Könntest du mir sechs LITERFLASCHEN Cola und sechs Pakete Marlboro mitbringen?" Nachmittags füllte er schon ein paar Kannen Kaffee und vier oder fünf Valium ein, abends während des Fernsehprogramms jede Menge Cola und seine Barbiturate. Die Neonröhren brannten gleißend hell.
ISOLATION ISOLATION
tönte es oder
I PUT MY FRUST IN YOU & spätestens um Mitternacht war Cohn in seine kreative Trance geraten. Er hockte mit den Füßen auf dem Stuhl vor der Schreibmaschine.
"Ich kann nur mit Leuten zusammenleben, die ihre Arbeit wichtig nehmen", meinte er, und wenn ich mir über seine Schluckerei Sorgen machte: "Ich werd nie mehr krank. Wenn ich merk, daß eine Grippe im Anflug ist, werf ich 'n paar Medinox rein, mach mir 'ne Kanne Kaffee und mach was. Die Esserei hab ich weitgehend abgestellt ..."
"Gut, ich mach 'n Kurs in Maßlosigkeit bei dir."
"Mit dir würd ich meine letzte Cola teilen."
Meistens ging ich weg, denn ich kam mir klein und häßlich vor neben soviel Arbeitseifer, und dazu noch von dem faulsten Hund, den der Erdball je hervorgebracht hat.
"Er würde nur in der Sonne liegen und sich die Eier kraulen lassen". sagte Frankie, "wenn ER KÖNNTE!" WILL ICH EIN VERSAGER SEIN, fragte sich C.C. Cohn. Er hat ja auch was Deutsches, oder? Er arbeitet auf Nachtschicht in seinen neonbeleuchteten, zettelüberhäuften Räumen zwischen elektronischer Orgel, Schreibmaschine, Fotos & Filmrollen, Pornos, Krimis, Mal-Utensilien, exotischen Zigarettenpackungen (Africaine légerè), Schnipseln, Souvenirs, leeren Colaflaschen, Gemälden von kommenden Künstlern, Cassetten, vollgestopften Mülltüten, Kleidungsstücken... -- aber das hatte ich schon.
2
Es war eine malerische Unordnung, die den Hausverwalter bis an den Rand des Wahnsinns trieb. Dabei war die Sache die harmlose Folge einer klaren Wertrangfolge, Leben & was produzieren (& sei's ein Telefongespräch) kam vor Aufräumen. Natürlich war darin auch eine späte Rebellion gegen das Saubermachen und die Disziplin der vorhergehenden Generation enthalten, die historisch gesehen mit ihrem Anti-Schmutz, um es vorsichtig auszudrücken, eine Menge Schaden angerichtet hat.
"Ich hab das Gefühl IM AUSLAND zu sein", meinte C.C. Das Gebäude lag ziemlich abseits in einem ausrangierten Industriekomplex. Wir knüpften DIREKT ans Neunzehnte Jahrhundert an. Wir sind die Vorreiter der POSTINDUSTRIELLEN Gesellschaft.
"Ich dachte, ich würde nie wieder Gedichte schreiben. UND JETZT HAB ICH SCHON WIEDER 60 GESCHRIEBEN. In zwei Jahren hab ichs geschafft."
Er fiel vom Stuhl.
"Maja ist noch immer meine Frau", sagte er wehmütig und zärtlich, setzte sich aber wieder auf den Stuhl, und mit einem kindlichen Ton, "aber ich brauch noch zwei Jahre ... und dann hab ich sie verloren. In zwei Jahren mieten wir uns eine Villa bei Rom und machen lauter kleine Cohns."
"Wie war die Meisterschaft des HSV 1962? Tor?"
"SCHNOOR", rief Cohn.
"Verteidigung?"
"Krug! Piechowiak!"
"Läuferreihe?"
"Werner!"
"Sturm?"
"Nicki Neißner, Uwe Seeler, Klaus Stürmer ... Lolly Klepacz war, glaub ich, nicht mehr dabei."
Cohn ist gegen die Spezialisierung. Die Spezialisierung ist gut für die industrielle Gesellschaft, und wir Deutschen mit unserem Biedersinn müssen gaffen, daß uns die Harakiris nicht die gerade Linie klaun. Cohn ist gegen die Spezialisierung in den Künsten. In der Art wie: Nur Schriftsteller sein. Nur Hausfrau sein. Nur Hure sein. Nur Erfolg haben. Nur Abkratzen. Wir sind gewöhnt, die Dinge von zwei Seiten zu betrachten. Das ist ein kleiner Fortschritt. Aber erwiesen ist, daß jedes Lebewesen auf Erden mindestens 64 Seiten hat. C.C. Cohn ist Dichter und KEIN Dichter. Er ist Musiker und kein Musiker. Er ist Filmer und kein Filmer. Ich = der Verurteilte, kritzeite er. WILL ICH DER VERSAGER SEIN? "Du bist kein richtiger Süchtiger", sagte ich ihm.
"Was? Es gibt nichts Schlimmeres als Barbiturate. Du hast KEINE AHNUNG."
Er liest mir Gedichte vor, die hochgradig unzugänglich sind. Inkommensurabel, wie die Kritik sagen würde.
3
Gottgegeben, gottgewollt. Und er verstand es, seinen Kram vorzutragen. Seine Elaborate waren nicht zu interpretieren, es sei denn ein irrer Philologe, der an Finnegans Wake träniert hatte, machte sich an die Arbeit. Die Wirkung war jedenfalls komisch -- oder ergreifend.
"Irgendwie bin ich in meiner Art einzigartig, nicht?"
"Wie schaffst du diese Unverständlichkeit?"
"Früher hat mich das Gedichtelesen angeregt", sagte Cohn ernsthaft. "Heut les ich in einem Buch zwei Seiten mit einem Blick und SEH WAS GANZ ANDERES DARIN. Man wirft mir vor, konfus zu sein, aber das ist nicht wahr. Innerhalb meiner Konfusion bin ich vollkommen klar."
"Um Ausreden warst du noch nie verlegen."
"Es ist nicht alles Logik, mein Lieber. Und ich hab keine Lust, Sachen, die ich schon erlebt hab, noch mal nachzuerzählen. Es gibt noch 'n paar andere Dimensionen."
"Und die wären?"
"Rätsel, Verkleidung, Lumpen, Seidenanzüge!"
"Ach, der Surrealismustick. Erwiesenermaßen nur eine Art, die Show zu machen."
Und doch mußte ich zugeben, gibt es kaum ein nachhaltigeres Bedürfnis, als das alltägliche Niveau der Vernunft zu verlassen. Ich kam überhaupt nicht klar. Ich hatte keine MITTE. Entweder bin ich vollkommen verschlafen und mir entgeht alles oder aber ich habe solche Anfalle von Überheblichkeit, daß einem KALT wird.
Vorbei die Geborgenheit bei den ALTEN MEISTERN, bei den Camus & Sartres, den Millers & Artauds, den Paveses, R. Walsers & R.D. Brinkmanns. Ich müßte die gleitende Unterstützung der Musik wiederhaben. Seit Jahren lebe ich in der prosaischen Finsternis der Unmusikalität. Um zu schreiben, brauchst du Kraft, es gibt nur eins, Wahrheit oder Lüge & du brauchst deine ganze Kraft, um das auseinanderzuhalten.
Die Wirklichkeit selber ist der Knast, glaub mir, und wer da lebend rauskommt ...
Es ist nicht leicht in Hamburg zu leben, dieser grauen Industriestadt im Norden mit ihrer unsichtbaren Bourgeoise. Unter den Linksvernünftlern gab es ein paar nette Kerle, verläßliche, gewerkschaftliche Burschen, aber sie gaben sich zu steif überzeugt und zu sehr aufs Durchschnittsmaß versessen. Mit der unsichbaren Bourgeoisie und mit ihren sichtbaren Zöglingen also mußten wirs aushalten. Ich sah sie protzen, und es fiel mir besonders auf, wenn ich mich klein fühlte, aber in solchen Fällen sagte ich mir, keine Angst, euer Grabstein wird ein bißchen größer und ein bißchen glänzender sein als meiner -- aber das ist auch alles.
4
Ich hab Cohn nie über körperliche Gebrechen klagen gehört. Die langen Stunden, wo das endgültige Aus ihn umschlich, erwähnte er beiläufig, wenn das Tief vorüber war. Seine Vorbilder waren die jungen Gangster in aalglatter Minelle im CAMPARI bevor es schloß. Der schöne dunkle Morrisson. Desnos. Stirner. Sarréra.
Ich war down.
"Tu grellere Farben rein", erklärte er mir am Telefon, als ich ihn nachts in seiner Neonhalle anrief, "es gibt nur eins, daß du dich mal auf Dinge einläßt, die dir suspekt sind. Du könntest was Einmaliges machen! Ich kann dir 'n bißchen was sagen. Du mußt dich darauf einlassen. Zwingen kann ich dich nicht wie'n Weib. Gegen deinen Willen werde ich nichts tun. Du denkst vielleicht, der Typ ist voll Medinox und spinnt. Durch gewisse Beispiele kann ich dir zeigen, daß du wagemutiger sein mußt. Du kannst Kräfte freimachen, von denen du vielleicht selber nichts ahnst. Du bist jemand, der sich dosiert. Ich will endlich das Mehr aus dir herausprügeln. Dazu gehört der Wille, der Wunsch, das BRENNEN NACH ENTWICKLUNG! Ich rede wie ein Prediger ... Ein bißchen Verwirrung will ich in dir stiften, verdammt nochmal. Zu Kunst gehört mehr als Plan. Du bist kein Weib, bei dir geht es nicht über Abhängigkeit. Aber ich weiß eins: die Anderen sind festgefahren. Du bist es nicht. Das hab ich gespürt, ich spüre es. Ich bin nicht eigennützig. Es liegt mir inzwischen soviel an dir!"
Wenn C.C. Cohn seine Räume verließ, schloß er alles hinter sich ab. Er hatte kleine Vorhängeschlösser angebracht und fummelte sie zu, selbst wenn er nur 'ne Milch trinken ging um die Ecke. "Wasn das? Alles zu", meinte Meno, der durch die Scheiben in Cohns Büro linste, "das würde mich aber stören, ich mein, wenn in 'ner großen gemeinsamen Wohnung einer die Türen zuschließt." "Hat mich zuerst auch gestört, weils nach 'nem Mißtrauensantrag riecht. C.C. Cohn denkt, ich will ihm seine Verwirrung klaun. Aber du mußt zugeben, daß man sich geradezu getrieben fühlt, in seinem Schutt zu wühlen, und das will er eben nicht. Ist 'ne Schutzmaßnahme, weiter nichts. Vielleicht schlummert auch 'n kleiner Howard Hughes in ihm. Hör zu, ein Zitat aus C.C. Cohns Schriften: ,UNERKANNT und WELTBERUHMT will ich das Einzelzimmer. Dort stapel ich meine Irrtümer, verlieb mich in sie in ewiger Ehe. (FRAUEN SIND DORT VERBOTEN)."
Copyright by Daniel Dubbe 1986
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