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Der Klub der Abweichler. Nur wer einen Defekt aufzuweisen hat, wird eingelassen. Es gibt Lemurenmädchen, die so empfindlich sind, dass sie in Ohnmacht fallen, wenn man sie berührt; Venusierinnen, die keine Stimmbänder haben & mit dem Körper reden. Strahlengeschädigte, die sich eine zweite Haut übergestülpt haben & das verstörte Verhalten von Filmstars mimen; Autisten, die ständig Echomonologe führen, in denen sie alles, was in in ihrer Nähe gesprochen wird, mit zeitlicher Verzögerung wiederholen; Sadomasochisten, die nach Opfern Ausschau halten & sich in Anfällen von Selbstverstümmelung unter ekelhaften Verrenkungen auf ihre eigenen Körper stürzen; Amputierte, die sich in Schattenakrobatik üben, indem sie Seiltänzer oder Stripper nachahmen.
Eine blondierte Nymphe, fast nackt, ihre erogenen Zonen von einem Flaum von Flimmerhärchen überzogen, rempelt ihn an: "Ich brauche heute nacht unbedingt noch einen Schwanz." Ein kahlgeschorener Muskelmann lacht, eine Venusierin beginnt mit einem für einen der männlichen Zuschauer in den ersten Reihen meist tödlich endenden Wespentanz...
Das ist es nicht, sagt Max. Lautlos öffnen sich Schwingtüren & er driftet hinaus in die von Laserstrahlen durchzuckte Nacht. Über den Schatten der Mauer, die die Stadt von ihrer Vergangenheit trennt, verkündet ein elektronisches Transparent, dass Freiheit eine Droge ist. Er besteigt eine Gondel der Magnetschwebebahn & fliegt in rasender Fahrt über zerstörte Häuserblocks, die ihn an Gerippe von Sauriern erinnern & gespenstisch leere Villenviertel. Es ist, als hätte ein Wirbelsturm ganze Strassenzüge in Trümmerhaufen zerlegt, Schlussakt einer atomaren Tragödie... Punks halten einen Porsche an, dessen Fahrer von der Strasse abgekommen ist & sich hoffnungslos in die zerstörten Gebiete verirrt hat.
Max starrt auf den Bildschirm, der mit einer klebrigen Masse zerfliessender Schriftzeichen überzogen ist. Das weisse Licht der Bilder, aus dem plötzlich die flammenden Farben eines Sonnenaufgangs auftauchen. Der Geruch leerer Strassen, der Glanz von Metall auf der Haut jugendlicher Gestalten, die den Klub verlassen & mit hastigen Bewegungen, flüchtend fast, ein Taxi besteigen...
Gleich hinter der Stadt teilt sich der Fluss & verliert sich in toten, schwarzen Nebenarmen. Auf tiefhängenden Ästen sitzen Lemuren & betrachten den Fremden mit scheuen, durchdringenden Blicken. Hier, wo alle Männer bewaffnet sind. Wegen der Tiere, sagen sie. Aber auch das ist nur ein Bild, es gibt keine Sprache für die Gesetze, die hier herrschen. Jeder beachtet sie & wer nicht...
Nachts verstärkt die Hitze sich noch. Der Reisende liegt in seiner Hängematte & lauscht den Geräuschen, die ihn im Schutz der Dunkelheit befallen. Es gibt Geräusche, die Dunkelheit brauchen. Lautlose Dämonen, sie machen Jagd auf alle, die gegen die Gesetze verstossen haben.
Die Nächte hier sind Dramen, die den Sinnen keine Regung ersparen. Schrecken, Schmerzen & Lust: Jede Art von Gefühlsausbruch wird akustisch durchgespielt. Es ist, als würden Körper auf Reisen gehn, um Leidenschaft oder Einsamkeit zu finden. Der Tod, heisst es hier, kommt nachts. Nicht der Jäger bringt den Tod, kein Mensch hat diese Macht, der Tod geht seine eigenen Wege. Er erscheint in Augenblicken der Stille, kurz bevor das Opfer einen letzten, verzweifelten Fluchtversuch macht. Geschrei fliegt auf...ein Körper bleibt zurück, erschöpft von der Liebe, erschöpft von den Nöten, die mit der Geburt beginnen. Der Tod ist Erlösung.
Europäer, die hier ankommen, verstehen das nicht. Sie sind bewaffnet, sie glauben, sie könnten sich schützen. Sie wissen nicht, dass es keinen Schutz gibt. Sie haben alle ein Ziel & sind verbissen bemüht, es zu erreichen. Meist ist Geld im Spiel, Schätze, die Sucht der Entdeckung oder Ruhm, auch Verzweiflung, Flucht. Die Einheimischen verstehen diese Besessenheit nicht, sie wissen, dass die Fremden vom Versagen, vom Scheitern gezeichnet sind. Dass sie den Ablauf des Lebens beschleunigen, mehr nicht. Sie verschleissen sich, & alles, was sie zurücklassen, ist Zerstörung.
Ich sitze hier seit Jahren & betrachte die Bilder, die Worte in mir zurückgelassen haben. Wo beginnen & wo aufhören, wenn die Landschaft der Dinge in Bewegung geraten ist? Ich spüre etwas, das sich wie der Atem eines Insekts auf mich legt. Ist es die Nähe einer Frau? Ist es Loretta, die mich noch einmal zur Flucht ermuntern will? Ist es der Arzt, der mir im Schlaf einen geheimen Befehl geben will? Oder ist es der stumpfe Schmerz, den Erinnerung auslöst?
Ein Bild des Verschwindens...
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