Kosmische Relativität: Ich habe vor dem Abflug Ouspensky gelesen. An seiner Kosmenlehre hat mich der Gedanke an die Beziehung verschieden dimensionierter Kosmen fasziniert, besonders die Vorstellung, dass ein Kosmos den anderen sieht, dass es ihn nur in der hermetischen Betrachtung gibt, während er von aussen (einer anderen Dimension) gesehn eine andere Gestalt annimmt. Sehen bedeutet in diesem Zusammenhang aus einer Dimension in eine andere treten & dabei eine Dimension verlieren.
Auf dem Flug die Lichter von Rabat & Casablanca. Die Stille nächtlicher Bewegung im Raum, das bringt mich sofort in die Zeit im Cockpit zurück. Ein Bild (jetzt aus dem Kabinenfenster der Maschine), das zum Gefühl wird. Eintauchen in die Dimension der Bewegung, während sich Punkte, Linien, Flächen verschieben, langsam kippen, davonschwimmen in die Stille des dunklen Raums...
Jetzt ein klarer Himmel im Norden, & ich versuche Gibraltar zu sehen. In einer schrägen Linie quer über den Himmel reissen die Wolken auf, ein heller blauer Himmel über einem stahlblauen Meer. Der Hügel, auf dem die Stadt liegt, kommt mir wie ein Aussichtposten vor, von dem aus man über den Rest der Welt sieht.

Tanger als planetarischer Schnittpunkt. Die Welt spannt sich in gewölbten Schichten um dieses Meta-Zentrum, das kein Zentrum, sondern ein Beobachtungspunkt ist. Alles scheint sich in konzentrischen Linien um diesen Punkt herum zu bewegen. In keiner anderen Stadt hatte ich dieses periskopische Gefühl.
Palmen ragen wie organische Antennen aus dem Boden. Ihre Wedel wissen nicht, wohin sie sich ausrichten sollen. Antennen, die den Kosmos nach Sendern absuchen oder dem Standpunkt eines unsichtbaren Senders folgen. Was empfangen sie? Die Stimmen der Kinder der Nacht, die wir nicht sehen, aber sie uns, wie Choukri sagt.

Ich denke in einer verbotenen Sprache. Ich übersetze, was ich erfahre, in sie, & dann nimmt das Gesagte einen fremden Klang an. Mit der verbotenen Sprache gelingt es mir manchmal, die Gegenwart zu vergessen. Die Gegenwart verrät, worauf ich mich eingelassen habe.
Einsamkeit der Sprache?
Flüchtige Bilder?
Das Licht sonniger Tage?
Kälte erfasst mich, & ich habe keine Kraft, sie abzuschütteln. Üblicherweise reagiert der Körper mit Krankheit auf diesen Zustand. Ich habe mich immer mit aller Kraft gegen jede Krankheit gewandt. Ich habe Krankheit als Ausdruck von Versagen gesehen. Krankheit ist eine Form des Zerfalls, sie ist ein Vor-Tod. (Übrigens ist der Tod ein körperlicher Vorgang & daher ohne besondere Bedeutung.) Das tatsächliche Abenteuer des Todes besteht darin, den Körper zu verlassen, was jede Nacht beim Träumen geschieht. Träumen zu folgen, lässt sich als Übung verstehen, sich körperlos zu bewegen. Als psychogenes Leben.

Gestern Besuch bei Paul Bowles. Nein, er erinnert sich nicht an meinen letzten Aufenthalt. Er liegt im Bett, die Folgen einer Gesichtsoperation sind noch nicht überwunden (er trinkt mit einem Strohhalm). Ich erwähne, dass ich den Film The Absolute Outsider gesehen habe. Ich sage, dass seine Bücher überall in Amerika ausliegen. Sie gehen gut in Amerika? fragt er. Ich bejahe, & das scheint ihn ein wenig zu verwundern. Um etwas über Verkaufszahlen zu erfahren, müsse man seinen Agenten fragen & der interessiere sich nicht dafür, & die Verleger schon gar nicht. Er scheint Streit mit ihnen zu haben, "sogar einen veritablen in London".
Auch die veränderten Wahrnehmungsgewohnheiten streifen wir, dass die Jüngeren kaum noch lesen. "Sie wollen alles sehen", sagt er. Mir fällt auf, dass er Fernseher & Video im Zimmer hat, aber kein Telefon. Zum Telefonieren geht er einen Stock tiefer zu einem amerikanischen Freund. (Wie sich später herausstellt, benutzt er den Fernseher nur zum Abspielen von Videos.)
Im Wohnzimmer hat Abdel-Wahid den Kamin angezündet. Es ist bullig heiss in den Räumen. Ich habe vergessen, wie kälteempfindlich Bowles ist. Als ich ihn aufs Reisen anspreche, wiederholt er seinen bekannten Ausspruch, dass Reisen heute nicht mehr möglich sei, weil es keine Schiffe mehr gäbe. "Ich bin sehr pessimistisch, was die Zukunft der Menschheit betrifft", sagt er.
Darüber sollte er mit Burroughs reden, sage ich.
"Oh, da haben wir übereinstimmende Auffassungen", sagt er.