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"Dies ist der Monat mit dem meisten Regen", sagte die Frau hinter der Bar. Sie war noch nicht alt genug, um solche allgemeinen Aussagen zu machen. Sie hätte sagen sollen: Wenn es weiter so regnet, kann ich früher zumachen & nach Haus gehen &...aber es regnete nicht, & das mit dem Regen war ihr nur so eingefallen.
"Das sagst Regen, sprichst aber vom Reden", sagte ich. Ich war beim zweiten Wodka. Beim dritten würde ich ihr sagen, wohin Reden über den Regen führt. Aber das wollte die Barfrau nicht wissen. Sie sagte bloss: "Es stimmt, manchmal rede ich zuviel."
"So wars nicht gemeint", sagte ich. Ich hatte nur versucht, sie vom Regen abzubringen. "Der Regen kommt oder nicht. Mehr gibt er nicht her", sagte ich.
Sie wusch wieder Gläser. Es war offen-
sichtlich, dass sie mich für weggetreten hielt. Ich trank nicht schneller als sonst. Ich & die Barfrau waren allein.
"Nichts los", sagte ich.
"Das kommt noch, du wirst dich wundern. Wenn du was erleben willst, musst du vor an die Promenade."
"Da, wo alle was erleben wollen, passiert am wenigsten. Ich bin genau richtig hier."
"Du wirst dich wundern", sagte sie wieder.
Ich konnte sehen, dass die Vorderseite des Hotels muschelrosa angestrahlt wurde. Es war beruhigend, dass das farbige Panorama von innen kaum zu sehen war. Die Bar lag in angenehm gedämpftem Licht.
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Die Barfrau trug eine weisse Schürze, gegen die ihre Brüste drückten. Sie hatte den passenden Hintern dazu. Ich stellte mir vor, wie sie zuhaus die Schürze abnahm.
"Nicht schlecht", sagte ich. Unwillkürlich hatte ich die Wörter laut ausgesprochen.
"Über mich gibts nichts zu reden", sagte sie. "Geduld ist alles in diesen Breiten."
"Wem sagst du das."
Sie trank etwas aus einem hohen Glas. Es war ihr peinlich, dass sie nichts zu tun hatte. Sie trank, um nicht einfach so dazustehn.
Durch die Scheibe sah ich draussen eine Harley-Davidson vorbeifahren. Die Nieten der Hose des Fahrers schimmerten in der Strassenbeleuchtung.
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"Mein Mann hat ein Boot", sagte die Barfrau. "Wir fahren fast jedes Wochenende zum Fischen."
"Ausser, wenn du arbeitest."
"Ja, wie jetzt. Dann fährt er allein."
"Verstehe", sagte ich, & nach einer Weile: "Nimm doch mal die Schürze ab."
"Das geht nicht, die gehört zu meinem Outfit. Der Chef will das so."
"Nur kurz, damit ich dich sehen kann."
"Auf keinen Fall." Mein Wunsch machte sie doch irgendwie unsicher. Sie warf mir einen forschenden Blick zu, als sehe sie mich jetzt mit anderen Augen.
Plötzlich drehte sie sich um, bückte sich & streckte mir den Hintern zu. Was für ein Spiel, sagte ich mir. Selbst ihre Gleichgültigkeit drückt sie mit einer Herausforderung aus.
"Wollen wir wieder über den Regen reden?" fragte ich.
Sie kam hoch & ziemlich nah an mich heran & sagte: "Reden wir über den Regen."
"Er kommt, oder er kommt nicht", sagte ich.
"Noch einen Drink?"
"Ich zahle besser."
"Wie du willst."
Ich legte die Scheine hin & ging.
Plötzlich war Glendas Gesicht nah & deutlich vor mir. Ich schreckte hoch. Sie hatte sich über mich gebeugt. Ihre Lippen berührten sich wie biegsame Klingen. Sie zeigte keine Überraschung. Ich war es, der sich wunderte, wie sie unbemerkt ins Zimmer gekommen war. Ich wollte mich aufsetzen, aber sie hielt mich mit der Hand zurück. "Rühr dich nicht", sagte sie.
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Ich konnte kein Wort rausbringen. Hinter ihr blähte sich ein Vorhang im Luftstrahl des Klimageräts. Die Einrichtung hatte sich verändert. Ich musste in einem anderen Zimmer sein. Auch Glenda war nicht dieselbe. Eine Frau, die mir fremd war, drückte mir ihre Hand auf den Mund. Sie hatte Glendas Lippen, aber der Rest ihres Gesichts bestand aus plastischen Versatzstücken. Meine Fähigkeit, das Zusammenspiel ihrer Physiognomie auf eine Formel zu bringen, versagte.
Sie hielt einen metallenen Zylinder in der Hand, den sie wie eine elektronische Sonde auf mich richtete. Ohne dass sie mich damit berührte, spürte ich, dass der Apparat eine unterkühlende Wirkung auf mich hatte. Es musste eine Gefriersonde sein, ein sogenannter Kältetod-Katheter, mit dem die Körper Gehirntoter konserviert werden.
Ich wollte aufspringen, aber für Bewegungen war es zu spät. Mein Koordinierungsprogramm war zusammengebrochen.
Ein Mann trat ins Zimmer, ein untersetzter Typ mit Lederjacke & Sonnenbrille, der sich wortlos aufs Bett setzte & eine Zigarette anzündete. Er beobachtete die Prozedur, vielleicht überwachte er sie auch. Mein Körper war zu einer dumpfen Masse geworden. Ich spürte ihn noch, aber mein Nervensystem liess keine Reize mehr durch. Auf der zerebralen Ebene funktio-nierte es noch, aber reduziert wie nach einem Endorphin-Schock.
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Türen am Ende eines langen Korridors, die sich lautlos öffneten...
Ich war in einen Raum abgetaucht, der jedes Geräusch schluckte. Ein akustisches Vakuum umgab mich. Ich hatte kein Gefühl mehr in den Gliedern. Meine Sehnerven & mein Gehirn funktionierten noch. Die Farben des Raums, in dem ich gefangen war, verblassten. Sie wurden grau, & nach einiger Zeit konnte ich nur noch helle & dunkle Flächen ausmachen.
Der Mann auf dem Bett bewegte die Lippen. Er sagte etwas, aber die Worte erreichten mich nicht. Wollten mich die beiden erledigen? Die Frau mit der Sonde stand nach vorn gebeugt über mir. Sie rührte sich nicht. Sie trug einen weissen Kittel, der bis zu den Knien reichte. Ich senkte den Blick & sah, dass ich unbekleidet war. Wie ein schlaffer Sack hing mein Körper an mir. Ich versuchte mich aufzurichten, aber die Muskeln reagierten nicht.
Der Mann hinter der Frau war langsam näher gerückt. Er hatte die Arme ausgestreckt & liess seine Hände über den Rücken der Frau gleiten. Sie verzog die Lippen zu einem vulgären Grinsen & schwenkte ihren Hintern. Einmal drehte sie sich kurz zur Seite, & ich sah, dass der Kittel ihr Hinterteil frei liess. Wie eine Schürze bedeckte er nur ihr Vorderteil.
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Der Mann kniete jetzt hinter ihr & umfasste sie mit den Armen. Sie wand & drehte sich & veränderte damit die Richtung der Sonde. Ich wurde von kalten Wellen getroffen, deren Stärke nachliess, wenn die Frau die Sonde nicht direkt auf mich richtete & zunahm, wenn sie wieder auf mich zielte. Sekundenlang schloss die Frau die Augen & drohte auf mich zu fallen. Ihre Lust übertrug sich mit umgekehrten Vorzeichen auf mich. Je mehr sie sich den Handlungen des Mannes hingab, desto deutlicher spürte ich die Wirkung der Sonde & wie mir die Kälte den Hals zuschnürte & meinen Atem & Puls ins Stocken brachte. Die Frau riss die Lippen auf & ihre Zunge schwoll an. Ohne die Geräusche, die sie machte, ähnelte ihre Mimik der einer Ersticken-
den. Ihre Halsmuskeln spannten sich, & das Fleisch ihrer Schenkel vibrierte. Ihr Oberkörper war nach vorn geknickt, & ihre Brüsten baumelten wie Glocken, die der Sturm schüttelt.
Die Sonde war ihr aus der Hand geglitten, & ich fühlte, dass meine Sinne sich belebten. Teile meines Körpers begannen aufzutauen. Ich rührte mich nicht bis ich sicher war, dass mir die Muskeln gehorchten. Wie durch eine Wand hörte ich, dass die Frau ein wieherndes Geräusch ausstiess. Das Haar war ihr übers Gesicht gerutscht, & sie kickte mit den Beinen.
Ich stemmte mich hoch & gab gleich-
zeitig der Frau einen Stoss. Sie fiel rückwärts über den Mann, & ihre Beine schossen zappelnd nach oben. Das Gesicht des Mannes, zu einer grässli-
chen Grimasse verzogen, erschien kurz zwischen ihren Schenkeln...
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Ich sehe, diese Leute fackeln nicht, sie nehmen alles, so wie es kommt.
Schnell. Ohne zu zögern. Ein Nicken genügt, & alle Spuren verwischen. Mit verzerrten Gesichtern rasen sie davon.
SexSplitter, GewaltPartikel. Der Blick eines Blonden, der keine Sekunde zögern würde, mich umzunieten. Ich kann mich gerade noch ducken, aber mit einem Satz ist er über mir. Seine Hand schiesst in meine Richtung. Mein Gesicht fällt zur Seite, auf den Boden, Häuser kippen über mir.
Sowas ist immer drin. Ich versuche ihn an den Beinen zu erwischen. Ein grunzendes Brüllen erschüttert das Stadtviertel. Hierhin. Los verschwinden wir, während Toni auf seine Alte eindrischt. Er muss durchgedreht sein.
Als wir tanken müssen, entschuldigt er sich. "Ich weiss nicht, was mit mir passiert ist", sagt er. Er steht da, als wolle er sich entmaterialisieren. Seine Mundwinkel zucken. Er müsste sich mal wieder rasieren, & er versucht es beim Schein einer flackernden Kerze.
Keiner weiss, wo die Wohnung ist, die unser Unterschlupf sein soll. Toni hat eine Narbe am Hals, gleich hinterm Ohr. Er behauptet, dass er sie von einer Frau hat.
"Hat es Ärger gegeben?"
"Ohne Ärger geht es nicht. Sie hiess Rosette. Sie hat es geschafft, mich aus der Fassung zu bringen, das war alles."
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Auf dem Rückflug, es ist fast dunkel, liegt der Flugplatz da wie ein Schnittmuster aus Lichtern. Ich fliege eine Schleife, & das Bild unter mir kippt ruckartig von einer Seite zur anderen. Gegenstände flattern durchs Cockpit, Pappbecher, Karten, Bleistifte. Ich versuche irgendwo Halt zu finden. Ich hänge in den Seilen & weiss nicht, wo unten & oben ist. Warnlichter blinken. Eine Frau ist auch dazwischen, sie klammert sich an meine Schenkel. Sie ist in Kinshasa zugestiegen, & ich hatte nichts dagegen. Jetzt dreht sie durch & quietscht um ihr Leben (was vielleicht nur der Ausdruck von Begierde ist). Sie fletscht die Zähne & bearbeitet mich mit den Nägeln.
Ich werfe einen Blick auf einen Palmenstrand, der Himmel hat violetten Glanz. Der Sand ist weich, & ich höre meinen & Rosettes Körper fallen. Irgendwann hat die Bucht sich in ein Flammenmeer verwandelt.
Meine Gehirnströme reissen ab...
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Schmerz verflossener Orte legt sich auf mich. Er lähmt mich. Formen & Farben verschwimmen. Ich kenne das, ich weiss, dass das Vorzeichen einer Verzweiflungstat sind. Ich ahne, was auf mich zukommt, als Rosette fragt: "Warum kommst du nicht zurück zu mir?"
"Weil du eine gottverdammte Sucht hast."
"Dass du mir das sagst."
"Einer muss es dir ja sagen."
"Das ist es also."
"Nein, das ist es nicht."
"Was dann?"
So geht das die halbe Nacht. Kaum, dass die ersten Sonnenstrahlen auftauchen, läuft sie hinaus auf die Veranda, hebt langsam die Arme & bricht schluchzend zusammen...
In der Wüste ist es schwierig, eine Frau am Hals zu haben. Die Tönung des Himmels, die endlos sich hinziehende Fahrt. Nachts brennen mir die Sterne Löcher in die Haut, & alles, was sie sagt, ist, dass sie Sand nicht ausstehen kann.
Schliesslich habe ich sie in einem alten Fort im ehemaligen Bungalow das Kommandanten zurückgelassen.
Eine Geisterstadt, Fensterläden schlagen. Kahle Wände mit Flecken an der Wand. Skorpione hinterlassen filigrane Spuren im Sand. Die Latrine ist ein Kübel, um den die Araber einen weiten Bogen machen.
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Allmählich vergilbte das Foto, das ich von Rosette hatte, & ich habs irgendwo in einem Hotel liegengelassen.
Eines Tages, in einer Bar in Cristobal, taucht ein Junge auf, zeigt mir das Bild einer Frau & sagt: "Very cheap." Ich sehs mir an & erkenne, dass es Rosette ist, es ist das Foto, das ich fast schon vergessen hatte. So kam es, dass ich Rosette wiedergefunden habe.
Vergangenheit ist ein Land ohne Schatten. Alles, was geschehen ist, wird nie wieder zum Leben erwachen. Die Schatten, an die manche glauben, sind Staub, der aufsteigt, wenn die Bilder des Geschehenen zerfallen. Er setzt sich ab & kann einen glatt begraben, wenn man sich hie & da nicht auf die Socken macht (oder aus dem Staub, wie die Redensart sagt).
Es ist der Staub, der in der Wüste zum Leben erwacht.
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Eines Nachts liege ich auf dem Bett, & am Himmel flattern Wolken. "Wollen Sie ein Mädchen?" fragt ein Mann, der zwischen den Kriegen in Deutschland an Strassenkämpfen beteiligt war.
Ich lade ihn zum Bier ein. Manchmal bricht er in wieherndes Lachen aus & sagt, dass er schon bessere Tage gesehen hat.
Es ist eine tropische Stadt, & der Abfall stapelt sich in den Gassen ringsum den Platz.
"Kann mans hier aushalten?" sage ich.
"Besser als da, wo Sie herkommen."
"Was ist mit den Frauen?"
"Oh, denen macht das nichts aus."
Die Dunkelheit hat den Atem eines gefrässigen Tiers. Orientalische Gerüche unmgeben uns. "Ich würde gern mit Ihnen ins Geschäft kommen", sagt er. "Aber vielleicht ist es besser, das Sie sich Ihre Illusionen erhalten."
"Welche Illusionen?" sage ich.
"Die mit den Frauen."
Zweikampf der Schatten. Kotzebue zeigt ihre Krallen.
Das Publikum zischt...
Täuschend echte Holografie meiner Hand, ihres Körpers. Dahinter ein Stück Strand, das blaue Band des Pazifik.
Ich sehe mich in ihr bioelektrisches Feld stürzen. Zeichen, dass Körper äusserst flüchtige Schatten sind...
Nahkämpfe. Bastionen von Muskeln sind zu überwinden.
Es ist das Silber der Nacht, das Bewegungen glühend macht. Wie Pfeile fliegen unsere Körper dahin.
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Niemand will die Nacht zum Tag machen. Ich muss erst einmal aus meinem Tagebuch erwachen. Meine Nächte sind Skizzen neuraler Handlung. Ausschnitte von Regungen, die die Einsamkeit in mir hervorruft. Ich bin einem fremden Horizont ausgeliefert.
Loslassen, den Körper der Verzweiflung überlassen...
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