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Florian Neuner, www.readme.cc, 2008
Jürgen Ploog: Simulatives Schreiben
Es gibt nicht viele Autoren, die sich ernsthaft der Herausforderung stellen, die es bedeutet, seine Poetik im Zeitalter avancierter Naturwissenschaften und der neuen Medien neu zu justieren. Die Scheu ist wohl deshalb so groß, weil man schon ahnt, daß dann kein Stein auf dem anderen bleiben wird, daß man sich dann nicht weiter in seiner »heilen Erzählwelt« wird tummeln können wie ein »frühgealtertes Kind« (Gerhard Rühm). Es reicht eben nicht, in einem Roman einen Gehirnforscher oder einen Medienarbeiter auftreten zu lassen. Da muß schon mehr auf den Prüfstand. All die frühgealterten Romanschreiber müßten eigentlich beschämt sein angesichts eines schmalen Bandes, den ein über Siebzigjähriger nun vorgelegt hat und in dem er nicht weniger versucht, als Bausteine zu liefern zu einer unserer heutigen medialen Umgebung angemessenen Poetik. Jürgen Ploog zählt zu den ganz wenigen deutschsprachigen Autoren, die in der Nachfolge von William Burroughs, Jack Kerouac und anderen die radikaleren Impulse US-amerikanischer Subkultur aufgegriffen und etwa die Technik des Cut-up für sich adaptiert haben. Ploogs Essay trägt den Titel Simulatives Schreiben und ist nicht zufällig im Verlag von Peter Engstler, einem der letzten Horte für unangepaßte Literaturen in Deutschland, erschienen. Mit »simulativem Schreiben« ist ein Ansatz bezeichnet, der an die Stelle der obsoleten Realismuskonzepte treten und das Schreiben wieder öffnen soll zu einer "Geste des Suchens" des Suchens "nach etwas, das nicht auf der Hand liegt, das heißt, auf den üblichen, bekannten Wegen nicht zu erreichen ist". Ploog weiß natürlich, daß er ein Rufer in der Wüste ist. Ausgehend von der Diagnose einer Krise, die nicht zuletzt auch eine Darstellungskrise ist, fügt er gleich hinzu: "Krisen geben Anlass zu Reaktionen, die sich verstärkt am Bewährten orientieren, wodurch dann Spielraum für eine neu-konservative Besinnung entsteht." (siehe Romanschreiberei!) Wo es aber keine »ruhenden Standorte« und "keine Fixpunkte" mehr gibt, sind andere Reaktionen gefordert. Wo sich die Realität auflöst und zunehmend in virtuelle Räume diffundiert, dort müssen die überkommenen Realismus-Konzepte ins Leere laufen. Ploog, der lange Jahre als Pilot gearbeitet hat, ist besonders sensibilisiert für die Auswirkungen, die Mobilität, Geschwindigkeit etc. auf unsere Wahrnehmung haben. Die Literatur wird darauf reagieren müssen, wenn sie nicht zum Anachronismus werden will.
Hier setzt das simulative Schreiben an: "Ein Kunstwerk besteht heute nicht dadurch, dass es eine wie auch immer geartete Realität wiedergibt, sondern dass es an ihre Stelle tritt." Was im Film längst stattfindet, dagegen wehren sich die Literaten nach wie vor in ihrer "Ehrfurcht vor dem Wort", in der Hoffnung, daß etwas vom "falschen Glanz der Sprachverehrung" auf sie übergehen möge. Ploog ist davon überzeugt: "Die linear-hierarchischen Muster der alphabetischen Kodierung taugen nicht mehr, Vorgänge der aus den materiellen Gegebenheiten ausgebrochenen Lebenswelt zu erfassen." Deshalb
muß der Schriftsteller heute versuchen, das "lineare Handicap" zu überwinden und sein Schreiben gleichsam zu verflüssigen. Ploog spricht vom Ideal eines Schreibens als "Basteln" im Gegensatz zum "Tüfteln" und hat dabei methodisch Montage und Cut-up im Blick. Wer Sprache als Material behandle, der sei gezwungen, "rücksichtslos vorzugehen": "vor allem rücksichtslos gegenüber jeder Leseerwartung, die gewöhnlich Themen & Handlung fordert". Wer das sprachliche Material als "Bauteile & Bruchstücke" begreift, der wird Ploog zufolge im "offenen Feld der Worte" zu einer neuen Art von Fiktion vorstoßen: "Er wird sich verlieren, aber nicht seinen Verstand." Simulatives Schreiben ist weder brilliant geschrieben noch theoretisch unanfechtbar. Der Autor gibt auch zu: "Es liegt mir nicht, mein eigenes Schreiben unter die Lupe zu nehmen." Die knapp 50 Seiten von Jürgen Ploogs Essay enthalten aber eine Fülle wichtiger Denkanstöße und zeigen einen Autor, der grundlegenden Fragen nicht ausweicht. Und auch wenn Ploog hier natürlich pro domo argumentiert, so weist die Relevanz des in dem kleinen Buch Diskutierten doch weit darüber hinaus.
[Favourite quote] Die gegenwärtige Krise der Wirklichkeit ist eine Krise ihrer Darstellung. Das Hadern mit "Wirklichkeit" oder "Fiktion" wird sich als sinnlos erweisen, sobald ein überholter Realismusbegriff der simulativen Erfahrung gewachsen ist. Es gibt Anzeichen dafür, dass der hergebrachte Autor in seiner Singularität (& Originalität) großen Komplexen der Wirklichkeit nicht mehr gewachsen ist.
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