|
|
Jamal Tuschick, Junge Welt, 6.5.98
Unvereinbar mit dem Rest
Jürgen Ploogs "Straßen des Zufalls" entziehen sich dem schnellen Verständnis
Die Faszinationsstränge, an denen die Beatliteratur sich in die Jetztzeit verlängert, verdanken ihre Dauerhaftigkeit vielen Mißverständnissen. Ploog: "Das war keine Jugendkultur". Nicht ausreichend begriffen wir, daß diese artistische Absonderung nicht allein eine Alternative oder Parallelsphäre zum kulturellen Mainstream darstellt. Ihre Nutzung als Vorplatz des Offiziellen läuft auf einen Übergriff hinaus. Sie versammelt auch nicht Provokateure, die zwanghaft (und mittlerweile vergeblich) auf Tabubruch aus sind. Vielmehr konstituiert sie sich auf der Basis willentlich herbeigeführter Unvereinbarkeit mit dem großen Rest, denn "die verwaltete Kultur ist ... ein geschlossenes Museum". Unabhängigkeit heißt das Hauptwort. Und die Meute gegen sich hat, wer darauf besteht. Jürgen Ploogs "Straßen des Zufalls", 1983 erstmals publiziert, nun überarbeitet und erweitert von Galrev aufgelegt, zeigen vor allem dies: Hier entzieht jemand die Sprache dem schnellen Verständnis, das auf preiswerten Übereinkünften beruht. "Wenn Sprache Denken ist, kann die Arbeit des Schreibers nicht vor dem Wort haltmachen." Keine Moral in der Geschichte und sowieso kein Fortschritt. "Was vermag Literatur noch?" ist eine Frage, die Ploog stellt. Den schreibenden Landsleuten macht er ihre Freude am Rückzug und an der Selbstbeschränkung zum Vorwurf. Als wollten sie die Freiheit nicht. Sie bewegen sich, so Ploog, "in einer negativen Topografie". "Glaubt jemand, daß er die Zeit, die er in Staus
verbringt, irgendwo wiederfindet?" fragt ein eigensinniger Denker. Obgleich die Quellen, aus denen er schöpft, offensichtlich sind und seine zementschwere Verankerung in den Sechzigern Reserven mobilisiert kann. Nicht bei mir. In den "Straßen" bespricht er Bill Burroughs, "kein Beatschriftsteller", statt dessen "ein moderner Faust", der Voraussetzungen für seine Autorenidentität schuf. Er hat für mich den Vorhang zum Raum hinter den Worten zerrissen. Das Verfahren streift diverse Genres. Die Trennung zwischen Erwägungen und Erfindungen sind unscharf. Phantasien mischen sich ein. Ein sadistisches Element belebt erotische Seitenwege, die den Text durchlaufen: eine Grandseigneuers-Geilheit, die Gerte am Frauenarsch. Der Erzähler Ploog setzt sich nicht selbst ab, um dem Essayisten Ploog ein Amt zu geben. Die Koordinaten des reflektierenden Ichs liegen im Jenseits eindeutig faßbarer Figuren: "Schreiben ... bedeutet Inventur des Innenraums". "Ich kann mein 'Ich' nicht auf dem Tablett einer Story präsentieren": Die Wirklichkeit erscheint als "Abtastmuster" (Burroughs), das sich mit verändertem Stoffwechsel anders zeigt. "In unsichtbare Labyrinthe interniert" (Wolf Wondratschek) ist der "Reisende", zugleich unterwegs auf den "Vorfeldern der Wahrnehmung", "zwischen Kontinenten, die sich wie elektronische Prärien hinziehen", in "Landschaften, auf die das Nervensystem biochemisch reagiert". Eine einschlägige Kategorie heißt geomythisch: Landschaften wirken auf Texte und provozieren einen bestimmten Ton. Dem "Reisenden" kommt es darauf an, "den Weg zwischen Kopfbild & Sprachbild so kurz wie möglich zu halten". Er stellt seine Fragen. Pragmatismus ist ihm nicht fremd. Ploog ist Deutscher aus der Zeit, als nach einem Wort von Jürgen Theobaldy "die Bomber noch im Suchlicht flogen". Das von den Kriegen des 20. Jahrhunderts nur mittelbar berührte Amerika versprach ihm einen utopischen Raum. Haltung ist wichtig. Variiert wird das Thema Cool. Es koinzidiert mit dem Beat-Topos Unsichtbarkeit. Zum Repertoire gehören ein paar Gesten, die nur verwirren sollen. Eine Fährte zu legen, die im Schotter des Nonsens endet, ist auch ein Vergnügen. Wer ein Werk zu verteidigen hat, dem sind gegenüber Leuten wenig Pflichten auferlegt. Das Temperament eines Attentäters kennzeichnet ihn. Semantik ist eine Fessel, "Sprache: der Feind". Ploogs Kampf gegen die Okkupation des Bewußtseins weiß von Sendungsbewußtsein jedoch nicht. "Ich wende mich (nur) an jene, die nicht erschrecken." Für sich und allenfalls ein paar zur "Entsicherung ihre Sinne" befähigte Leser strebt er danach, aus Worten ein Werkzeug zu schmieden, mit dem der gemeine Wahrnehmungsgehorsam wie ein Stahlband zerschnitten werden kann. Angriff auf die Gehirne soll nicht als bloße Metapher für Erziehung und Zurichtung verstanden werden. Dahinter steht nach Burroughs/Ploog ein Komplott, dessen Ausmaße allenfalls erahnbar sind. Nichts wird schneller klassisch als eine Avantgarde. Diesem Fatum entgeht auch Jürgen Ploog nicht. Aber er ist vorbereitet.
|
|
Ralf Bentz, Frankfurter Rundschau, 25.11.1998
Abenteuerspielplatz Times Square
Für Jürgen Ploog sind biographische Spuren indes nur der Hintergrund, vor dem er in seinem Buch eine faszinierende Analyse von Burroughs' literarischem Werk entfaltet, die zumindest im deutschen Sprachraum ihres gleichen sucht. Der ehemalige Langstreckenpilot hat sich wie kein anderer hierzulande Burroughs' Schreibmethode des Cutting-up zu eigen gemacht. In Ploogs Worten: "Cut-up ist die Methode der semantischen Abweichung. Wir versuchen, die nicht individuell abgesteckten Sprachnormen und Automatismen mit Cut-up zu unterbrechen, um nicht in dieser sprachlich diktierten Wirklichkeit zu verharren. Cut-up will das Wort taktil machen, anfaßbar." Ploogs Text, der ständig zwischen Fakt und Fiktion oszilliert, ist ein adäquater Reiseführer durch Burroughs "magisches Universum": Please sit down and fasten your seatbelt . . .
|
|
|
|
|
|
|