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Der erste Schnitt ist Demontage, das heisst, er ist zerstörerisch. Auf den zweiten Blick wird er zu einem Element negativer Ästhetik. Der zweite Blick enthüllt. Der Schnitt lässt das assoziative Feld der Sätze zusammenbrechen, dadurch entkomme ich ihm. Jetzt sind nur Wörter geblieben, & genau das interessiert mich, denn es geht darum, der Natur des WORTS auf die Spur zu kommen. Nach all den Jahren ist es wahrscheinlich das, was mich am Schnittvorgang fasziniert: dass der Umgang mit dem sezierten Wort mich dem, was es bezeichnet, näherbringt, dem Bild hinter dem Wort.
/Zitat von Elias Canetti, der in seinen Aufzeichnungen sagt: "Vielleicht wäre es besser, du würdest Worte aneinanderreihen, (da es schon Worte sein müssen), aber du bist immer auf einen Sinn aus, als ob das, was du erfindest, der Welt einen Sinn geben könnte, den sie nicht hat."
Was ich vor mir habe, wenn ich beginne, 2 beliebige aneinandergelegte Textseitenhälften querzulesen, liesse sich als Wortzettelkasten bezeichnen. Was sind Wörter? "Der Schriftsteller", sagt Burroughs, "weiss nicht, was Wörter sind. Er befasst sich nur mit Abstraktionen vom Ausgangspunkt der Wörter." Indem ich zunächst nichts als Wörter vor mir habe, bin ich gezwungen, durch sie hindurchzusehen, um herauszufinden, was sie bezeichnen. Eine Entdeckungsreise in die Landschaft der Wörter beginnt. Durch den Schnitt sind sie aus dem syntaktischen Umfeld gefallen. Für einen Augenblick sind sie stumm, ein Freiraum entsteht. In dieser kurzen Stille werden sie zu Bedeutungsbezugspunkten, die frei nach allen Richtungen sind, um neue Beziehungen einzugehen.
Der Schnitt zerlegt das lineare Satzgefüge in ein Punktsystem.
Was bezeichnen Wörter? Zweifellos Bilder von Gegenständen, in jedem Fall etwas, das sichtbar ist. Wörter wie "Subjektcharakter" oder "politische Kultur", die keine visuellen Entsprechungen auslösen, fallen durch mein Wahrnehmungsraster. Wenn ich "Nacht" lese, dann muss ich mir darüber klar werden, wie diese Nacht aussieht. Ist es eine stürmische, eine laue, eine kalte, eine tropische oder eine einsame Nacht in einer Grosstadt? Das Wort Nacht sagt nichts darüber aus. Neben dem Wort Nacht sehe ich das Wort Koffer. Was ist ein Koffer, frage ich. Was macht ein Koffer in der Nacht? Ist es mein Koffer oder gehört er einem anderen? Ein Mann namens Grips steht mit einem Koffer in der Hand in einer unruhigen Nacht. Es ist eine lange Nacht, & blitzlichthaft werden in seinem Gehirn die Bauten der Stadt beleuchtet...
Eine Szene ist entstanden, die mir Worte zugeflüstert haben. Bei diesem Verfahren kann ich die Wörter wie Bausteine herumschieben, ich kann sie anfassen, sie sind Material. Ich kann sagen: Ein Koffer steht vor blitzlichhaft beleuchteten Gebäuden. Ein Mann namens Grips, der lange Nächte durch die Stadt geirrt ist, hat ihn dort stehen lassen. Es scheint, er hat die Stadt fluchtartig verlassen...
Wer oder was schreibt diese Szenen? Habe ich sie erlebt oder nicht? Sicher, ich bin in ähnlichen Situationen gewesen & die Kombination der Wörter hat mich wieder in sie zurückversetzt. Sie sind mir entfallen & die Wörter haben sie zurück in mein Bewusstsein gebracht.
Szenen wie diese sind Entwürfe, sie können so oder anders stattgefunden haben. "Das Suchen nach Unwahrscheinlichem", sagt Vilém Flusser, "dieses Tasten nach `Information' im Schwarm der Möglichkeiten, ist ein Suchen nach Erlebbarem, nach Abenteuer."
Es ist also keine beliebige Beliebigkeit, mit der der Autor vorgeht, sondern die Schnittechnik erweitert lediglich den Horizont seiner Möglichkeiten. Er übernimmt keineswegs automatisch die Kombinationen der im Schnittvorgang auftauchenden Wort- & Satzkombinationen. Es bleibt ganz & gar ihm überlassen, auf welche er sich einlassen will. Oft gehe ich seitenlang über die vor mir liegenden Nahtstellen von Texten hinweg, bis ich auf eine Stelle stosse, die sich zu einem sichtbaren Bild zusammenfügt.
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