Ulrich Kriest, INTRO, 06. 01. 2005

So muss das gehen! Letzthin, neugierig geworden von der Lektüre der schönen Jörg-Fauser-Biografie ("Rebell Im Cola-Hinterland") und ihrer vollmundigen Siebzigerjahre-Literatur-Szene-Rekonstruktion, begeistert "Ploog entdecken!" in die Runde geworfen – und ein paar Tage drauf liegt "Ploog Tanker" in der Post. Wir erinnern uns: Jürgen Ploog, Jahrgang 1935, war hauptberuflich Langstreckenpilot bei der Lufthansa – davon erzählt sein Blick auf die Welt – und nebenberuflich Herausgeber der legendären Literaturzeitschrift Gasolin 23. Als früher Fan von William S. Burroughs – man kann in "Ploog Tanker" lesen, wie abenteuerlich die frühe Burroughs-Rezeption in der BRD ablief – experimentierte Ploog mit Cut-up-Techniken und auch mit Burroughs’ Gespür für überdeterminierte Orte/Räume ("Interzone", Tanger etc.). Florian Vetsch hat in Zusammenarbeit mit Ploog dessen Arbeiten in drei Blöcke aufgeteilt: "Cut-up Labor", "Die Gasolin Jahre" und "Hinterland Der Worte". Darin finden sich Sätze wie: "Eine Syntax gibt es nicht / wie verlockend das klingt, & dann falle ich doch wieder in den gewohnten Ablauf der Worte zurück. Was nicht zu beschreiben ist. Stillstand der Natur." "Ploog Tanker" erschöpft sich aber nicht in der – hinreichend verdienstvollen – Sammlung verstreuter Ploog-Texte, sondern stellt durch weitere Texte, Interviews, Essays von Wolf Wondratschek, Katharina Franck oder Carl Weissner erfrischende und anregende Kontexte her. Insgesamt darf man behaupten: "Ploog Tanker" ist ein Ereignis, eine Fundgrube, eine Zeitmaschine, eines der ganz wichtigen Bücher der Saison. Anders gesagt: "Finally the waiter mops up the blood."

Matthias Penzel, Rolling Stone, 1/2005
Ambros Waibel, Junge Welt, 08. 01. 2005

Nicht abkaufen lassen
Das Bewußtsein ist intakt: Über den Reader "Ploog Tanker. Texte von & zu Jürgen Ploog" zum 70. Geburtstag des Cut-up-Pioniers

Wenn ich schlecht gelaunt bin, spiele ich manchmal mit dem Gedanken, die letzten Kröten zusammenzukratzen – etwa durch Mahnungen für ausstehende Honorare – und mit ihnen ein Stück Zeitung der Rubrik Geschäftsaufgaben zu kaufen: "Hiermit stelle ich meine literarische Tätigkeit ein." Begabtere und Bedrängtere machen dagegen noch aus Ekel Kunst – Hacks etwa: "Wann werd ich es so satt sein, / Daß ich es satt bin aufzuschreiben, wie / Satt ich es bin?" Und vielleicht hat mich der im kleinen Rohstoff Verlag erschienene Reader "Ploog Tanker" vor allem deswegen so rausgerissen, weil er genau im richtigen Zeitpunkt, eben zum Tiefpunkt meiner Laune, angeschwommen kam und weil die Ware, die er transportiert, nie wirklich käuflich, also auch nie im größeren Stil zu verkaufen war; und trotzdem wurde weiter produziert.

Nicht müde
Was an den alten Herren der Cut-up-Connection, die neben anderen zu diesem Band beigetragen haben, beeindruckt – an Jürgen Ploog, Carl Weissner, Walter Hartmann (der das wunderschöne Cover gemacht hat), und auch an Wolf Wondratschek –, ist gar nicht in erster Linie ihr Werk, sondern ihr Beharren, weiterzumachen, die eigene Sicht der Dinge (oder burroughsscher: hinter die Dinge) sich nicht abkaufen zu lassen. "Diese Revolutionäre aus einer anderen Zeit sind gealtert, aber sie wirken nicht müde. Ihre Würde ist die von Leuten, die nie kapituliert haben. Sie haben sich bei niemandem zu bedanken. Niemand hat sie 'gefördert'. Sie haben nichts bekommen, keine Stipendien verzehrt. Sie sind unbestechlich. Ihr Bewußtsein ist intakt" – so Enzensberger über die anarchistischen Veteranen des Spanischen Bürgerkriegs.
Unsere Leute haben nicht auf die Nachkriegs-Nazi-Zombies geschossen. Da hätten sie viel zu tun gehabt! Sie haben den Kaderkommunisten auf ihre über blaue Bände gebeugten Schultern geklopft und sind weiter gegangen, immer nach Westen, dem Sonnenuntergang auf der Spur: Und sie schauen unverändert verdammt gut dabei aus, haben sich keine Kompromißrollen angefressen und wieder runtergeholt.

Gruppe 47 ermitteln
Heute wird der Schriftsteller und Flugkapitän Ploog siebzig, und Vetsch hat ihm ein Geburtstagsgeschenk gemacht, das seine 32 Euro wert ist. Allein dies hier, Ploogs Ermittlungsbericht über die Teilnehmer der Gruppe 47-Sitzung in Princeton 1966: "Auf der Suche nach einer Bank die Nassau Street überquert. Hübsche kleine 650 Dollarschecks in der Hand (oder: DM 2600), stolperten Tagungsteilnehmer durch die Glastür der First Princeton Bank and Trust Company, drängten sich an den Schalter. Einige hatten ihre Pässe im Hotel, es gab Ärger. Ohne Paß können sie als Bankräuber verhaftet werden, sagte Reich-Ranicki" – der nämlich eben kein provinzieller Schmock ist wie der Rest. "Kleiner Vietnam-Stand an einem Alleebaum vor Anti-Kriegsplakaten. Die meisten 47er gingen mit dem Geld der Ford Foundation achtlos an den Zeichen der Zeit vorbei. Auf der Suche nach Adaptern für Rasierapparate. Oder auf der Suche nach dem Nassau Inn auf einen Schnaps – im Nassau Inn gab's natürlich nichts zu trinken. Wer nicht gerade Briefmarken kaufte, rannte anderen nach, die auch nicht wußten, wohin. Wie bei einem Schulausflug. Wer is’n als nächster dran? Mancher, der noch mal zittrig in Manuskriptseiten mit Berliner Kneipenträumen blätterte."

Stendhal an Balzac
"Cut-up Labor" (1961-70), "Die Gasolinjahre"(1971-1990), "Hinterland der Worte" (1991-2004) – in diese drei Abteilungen gliedert Vetsch Ploogs Leben und Werk. Den Quellenangaben habe ich nicht immer entnehmen können, wo die Texte zuerst gedruckt wurden, bzw. ob es sich um Originalbeiträge handelt – ein Mangel, der auf seltsame Art mit Wondratscheks Einschätzung korrespondiert, wenn er für Ploog Flaubert zitiert: "'Ich habe einen großen Fehler gemacht, aus Eitelkeit, ich bin meinem Plan nicht treu geblieben, erst nach meinem letzten Buch mein Gesamtwerk auf einen Schlag zu publizieren'. Ploog tut nichts anderes. Seine Arbeit ist unbekannt, und irgendwann wird er sagen: So, das ist der Corpus, den publizieren wir in einem Verlag, der Bücher wahrnehmbar macht." Und wo wir schon mal bei Franzosen und bei Klassikern sind: 1840 schrieb Stendhal an Balzac, er sei "des Glaubens, vor 1880 doch nicht gelesen zu werden", weswegen er "Die Kartause von Parma" mit dem Motto "To the happy few" ausklingen ließ. Dem Brief Stendhals vorausgegangen war allerdings ein zweiundsiebzigseitiger Essay Balzacs zu eben diesem Werk. Das waren noch Zeiten. Solange sich Jürgen Ploogs Balzac nicht gefunden, solange Sie mit mir und wir mit einem kundigen Nachwort Thomas Collners (Post-Underground: Wo geht’s raus aus der toten Zone) vorliebnehmen müssen – solange liegt es an uns, den "Ploog Tanker" als Band 1 einer Werkausgabe wahrzunehmen. Captain Ploog welcomes you aboard.

www.beatnet.de/docs/new_books/ploog_tanker.html

In dem umfangreichen Reader werden einerseits verschollene Texte dieses deutschen Beat-Autors seit den frühen 60er Jahren wieder zugänglich gemacht, andererseits neue Texte erstmals publiziert. Dabei zeigt sich Ploogs Entwicklung von hart geschnittenen Avantgarde-Texten, hergestellt mit der von Brion Gysin erfundenen Cut-up Methode, hin zu den atmosphärisch dichten, erzählenden Texten der jüngeren Gegenwart. Ploogs bislang nicht hinreichend gewürdigte Bedeutung machen aber nicht zuletzt auch die Texte von Autorinnen und Autoren bewusst, die seit vielen Jahren mit ihm zusammengearbeitet haben. Erstmals ist es dadurch möglich, das untergründige Netz an Kollaborationen, in dem sich der Ex-Pilot Ploog abseits des deutschen Mainstreams bewegt, zu erkennen. So bietet der PLOOG TANKER die Gelegenheit, einen Autor zu entdecken, auf den Johannes Ullmaiers Von Acid nach Adlon oder auch der Protest-Band des Marbacher Literaturarchivs aufmerksam gemacht haben.

Enno Stahl, Deutschlandfunk: Büchermarkt, 21.2.2005

Das Wort als Fremdkörper
Die Cut-Up-Texte von und zu Jürgen Ploog

(…) Mit seinem Namen verbindet man die legendäre Literaturzeitschrift GASOLIN 23, die er u.a. gemeinsam mit Fauser herausgab, verbindet man außerdem den Grandseigneur des amerikanischen Undergrounds William S. Burroughs, mit dem Ploog bis zu dessen Tod befreundet war. Neben der menschlichen Beziehung zu Burroughs existiert auch eine enge literarische: Ploog operiert nämlich seit Beginn seiner literarischen Tätigkeit – wie Burroughs – nahezu ausschließlich mit der sogenannten Cut-Up-Methode. Was hat man darunter zu verstehen?

Ja, die reine Technik, Cut-Up heißt eigentlich zerschneiden. Ich nehme eine Seite, zerschneide die, nehme eine zweite, zerschneide die auch in der Mitte und setze dann die entstandenen Hälften aneinander, ich persönlich arbeite allerdings mit dem sogenannten Fold-In, weil, die Seiten zu zerschneiden, ist unpraktisch, dann hat man lauter halbe Seiten, wenn man nur "faltet", "fold-in", dann kann ich sie wieder glätten und habe wieder die vollständige Seite und bleibe sehr variabel in dieser Methode. (...)

Wenn Ploog von Handlung spricht, meint er nicht den Plot einer Geschichte. Es geht eher um sprachliche Linien, Fluchtlinien, deren Richtung der Text nimmt, nicht um den Aufbau einer konventionellen, erzählerischen Dramaturgie:

Ich sehe das konventionelle Schreiben so, jemand hat etwas erlebt und bringt's dann auf Papier, das ist für mich konventionell. Ob er das jetzt eins zu eins macht oder eins zu drei oder eins zu acht, noch ein bissel hinzu fügt oder noch einen Gag reinbringt, das ist konventionell für mich. Ich suche Räume, also Bildräume, Welten, die über die sozusagen realen Möglichkeiten hinaus führen. Die realen Möglichkeiten, ich bin dann mal in `nem Hotel, die Hotelzimmertür geht auf, jetzt kommt jemand herein, okay, aber was passiert jetzt, entsteht da Gewalt, entsteht da Leidenschaft, Lust, Liebe, hält mir der einen Vortrag über den Untergang der Welt. Alle diese Dinge sind ja offen, und an die komme ich nur ran durch das Schneiden, weil das Schneiden mir die Möglichkeit eröffnet, in alle möglichen Richtungen zu gehen, die mir vorher, in meinem Kopf vorher nicht vorhanden waren. Ich brauche da ... unerwartete, unwahrscheinliche Wendungen ... innerhalb des Textablaufes.

Der neue Band "Ploog Tanker", der Cut-Up-Texte Ploogs von 1961 bis heute zusammen fasst, zeichnet davon ein lebendiges Relief. Er präsentiert eine Prosa, in der Raum und Zeit aufgehoben zu sein scheint. Es wimmelt von exotischem Personal, unbenannte, irgendwie asiatische oder südamerikanische Szenerien wechseln sich ab, was gleich wieder durch einen Zeitschnitt in eine ganz andere Bildwelt zu stürzen vermag. Dem Leser vermittelt sich das wie eine rasche Abfolge suggestiver Filmsequenzen, die jedoch nicht einem einzelnen, sondern einer Vielzahl von Filmen zu entstammen scheinen. (...)
Bei aller Recherche unbewusster Möglichkeiten, Ploogs Aktionsflächen finden sich durchaus im Bereich des Tatsächlichen, sie sind jedoch geprägt von einer vermutlichen Synchronizität verschiedenster, räumlich und zeitlich getrennter Ereignisse. Es ist das Szenario der hard-boiled-Kriminalromane: die Welt erscheint illusionslos als ein abgekartetes Spiel per se, als Handgemenge von Gangstern, Agenten, Industrievertretern, korrupten Politikern oder wer immer im allgemeinen Hustle ums Geld, also ums Eingemachte, mitmischt. Ploogs Perspektive – sie ist auch darin jener Burroughs' vergleichbar – gehorcht einer zutiefst skeptischen Geschichtssicht, niemand soll sich über die realen Verhältnisse etwas vormachen: "Manche tragen ihren gesunden Menschenverstand wie einen Persilschein mit sich, aber glaub mir, es gibt keine Unschuld." (...)

Arne Rautenberg, Neue Zürcher Zeitung, 16. 07. 2005

Im Hinterland der Worte

Nun ist mit dem «Ploog-Tanker» eine voluminöse Textsammlung erschienen, die viele Schlüsseltexte von und über ihn versammelt (Rohstoff- Verlag). Ein editorisch lobenswertes Unterfangen, das so manches Licht neben die bekannten Autoren der sechziger Jahre, Rolf Dieter Brinkmann und Hubert Fichte etwa, zu setzen weiss und die Dunkelkammer ausleuchtet, in der der deutsche Underground entwickelt wurde. Dessen wesentliche Errungenschaften bestanden darin, Textgrundlagen und Haltungen der amerikanischen Beat-Mentalität dem deutschen Sprachraum zugänglich zu machen. Ploogs Freund Carl Weissner etwa übersetzte neben Charles Bukowski auch Allen Ginsbergs Jahrhundertgedicht «Howl» oder Burroughs' Roman «Naked Lunch». Die Auswirkungen dieser literarischen Vermittlungsarbeiten können für die deutschsprachige Literatur kaum überschätzt werden. (...)
Die Cut-up-Technik wurde Ploogs Markenzeichen. Seine frühen Experimente sammelte er in einem Buch mit dem Titel «Cola-Hinterland» (1969). Vom etablierten Literaturbetrieb kaum beachtet, von einer eingeschworenen Szene gefeiert, entfaltete er seine subversive, von pornographischen und gewaltverherrlichenden Elementen durchsetzte Literatur weiter (allerdings gemässigter als Burroughs); 1970 erschien dann die lange Erzählung «Die Fickmaschine»; Zeitschriften wie «Gasolin 23» gaben den Humus für diese Art Literatur. «Die Zeitschrift entstand zu einer Zeit, als allgemein vom Ende der Literatur die Rede war, womit nur das Ende einer bestimmten (herrschenden) Auffassung von Literatur gemeint sein konnte», so Ploog. «Es galt, in dieser Situation einen Aufbruch sichtbar zu machen. Die Euphorie der sechziger Jahre war abgerissen, & man stand mit seinen Bemühungen einige Zeit allein.» Jürgen Ploog ist im deutschsprachigen Literaturbetrieb immer der Fremde geblieben; einer allerdings, dem anzunähern sich lohnt.